I. Kornputz
Kornputz ist weiss, grob und scharf, schafkantig. Viele Häuser sind damit verputzt.
An diesem Putz schürfte man sich als Kind beim Versteckenspielen die Ellbogen
auf, wenn man, um sich zu erlösen, scharf um die Ecke sauste. Mit seinen
Kornputz-Bildern spielt Andreas Greber ein Versteckspiel, und statt die Ellbogen aufzu-
schürfen, schärft er die Wahrnehmung: Mit Kornputz und Fotografie. Zuerst ist da
nur Kornputz, weiss, grob und scharfkantig, auf 16 Holzplatten geklatscht.
Sonst nichts. Wenn da nicht die Schatten wären. Die Schatten sind reine Fotografie.
II. Lichtbild
Andreas Greber begann mit der klassischen Reportagen- und Dokumentarfotografie.
Für die Monatszeitschrift du gestaltete er Beiträge über Glashäuser
in Botanischen Gärten und über vergängliche Momente auf Zugfahrten
durch Europa. Noch seine durch Koloration verfremdeten, erfolgreichen
Impressionen der Badeszene in Rimini und seine Ball-Bilder waren letztlich der
Dokumentarfotografie verpflichtet. Dann begann die Rückbesinnung auf das
Elementare der Fotografie, auf das Licht-Bild. Greber experimentierte: Das
fotografierte Auge projizierte er auf Gipsbüsten - Aug in Aug; dann die Schneiderbüsten,
die pygmalionähnlich, durch Fotografie lebensecht gemacht wurden - Akt
auf Akt; dann Materialexperimente, bei denen Bilder etwa auf verrostete
Metallplatten fixiert und damit zwei chemische Prozesse verbunden wurden -
Chemie zu Chemie. Alles geschah immer im Bestreben, die abbildhafte Enge der
Fotografie zu überwinden, im zeitgenössischen Bewusstsein, dass die Reflexion der
Gegenstände auf dem lichtempfindlichen Material über das Abbild hinaustreibt.
Greber trieb es fast gegenläufig - wie in den Schneiderbüstenakten - zu tendenziell
uneingeschränkter Identität von Gegenstand und Abbild. Erst wenn die
Übereinstimmung volkommen erreicht ist, bricht sie auf.
III. Bündelung
Der Fotogra bannte Schatten des Vergänglichen auf die Wände.
Es ist eine Art von Erinnerungsbild, mit dem er sich beschäftigt, so auch im Projekt
zum Beinhaus in Naters im Kanton Wallis, oder in der Eidgenössischen Finanzverwaltung in Bern, wo die Spuren einer Installation von tausenden von Dachlatten an die Wände
gebannt sind. Während die Dachlatten selbst als Objekt eine neue, äusserst
geordnete Form repräsentieren, erinnert die auf der Wand an das Chaos der Installation.
Die Spannung von fixiertem, aber chaotischem Bild - es misst über 80
Quadratmeter - und geordnetem Urmaterial macht die Qualität der einfachen,
technisch aufwändigen Arbeit aus. Und um diese scheinbar einfache Spannung von
realem Material oder Urbild und Bild oder Abbild kreisen die Arbeiten von Andreas
Greber. Keine Erkenntnistheorie seit Platon kam um diese Gedankengänge herum.
IV. Schatten
Aber Andreas Greber materialisierte mit den Mitteln der abbildhaften
Fotografie genau diese Spannung. Nichts ist wie es ist, erst recht ist nichts, wie es
gesehen, geschweige denn abgebildet wird. Lange dauerte es, bis diese
erkenntniskritische Einsicht auch für die Fotografie fruchtbar wurde. Greber führt
sie in seiner neusten Arbeit auf eine einfache Grundform: Hier ist der Kornputz auf
der Platte, die Platte wird fotografiert, die Materialfotografie wird auf die mit einer
lichtempfindlichen Beschichtung versehenen Platte
zurückprojiziert: künstliches Abbild auf künstlicher Wirklichkeit. Hängen die
16 Platten nebeneinander, sieht man: keine gleicht der anderen. Der Bewurf bestimmt, wie der
angeworfene Kalkputz sich strukturiert. Die Fotografie fixiert das zufällige
Ergebnis. Das auf die Platte die zurückgeworfene Abbild ist jedoch nicht dem Zufall überlassen. Erst das Abbild macht die Platte mit dem hässlichen Kornputuzum Objekt, das in seiner Einfachheit auf die Anfänge der
Fotografie zurückverweist, ja geradezu vor die Fotografie zurückgeht oder die
Fotografie hintergeht, indem das Abbild als realer Schatten der Wirklichkeit
erscheint.
V. Simulation
Die 16 grundverschiedenen Platten mit dem hässlichen
Kornputz und seinem nie identischen Abbild scheinen im wechselnden Licht erst
die einfache Schönheit des wechselnden Lichts zu zeigen. Auf das Bild selbst als
Bild fällt dadurch ein Licht. Ins Licht grückt wird, was ein Bild zum Bild macht: seine Differenz oder seine verschobene Intentität. Die Reihe von Kornputz-Bildern wird damit zur einfachsten, ästhetisch herausfordernden Simulation der Simulation. Und was dabei das Merkwürdigste ist: Die Abbilder, die sich in der Differenz so sehr der Wirklichkeit nähern, lassen sich nicht abbilden. Diese Fotografie ist nicht weiter fotografierbar.
Konrad Tobler